Donnerstag, 31. August 2017

Aus dem Nähkästchen: Früher waren die Besser


Freitag. Endlich Freitag. Nicht irgendein Freitag. Der Freitag. Ich stehe im Plattenladen vor dem Regal mit der Aufschrift „Neuerscheinungen.“ Auf diesen Freitag freue ich mich schon seit Wochen. Nach vier Jahren langen Wartens erscheint heute das neue Album einer meiner Lieblingsbands. Ich bin jedem Vorbericht, jedem im Internet hörbaren Snipet und der Vorabsingle gekonnt ausgewichen. Ich will ohne Voreindrücke an die Sache heran gehen. Diese Band ist immer einen Blindkauf wert. Außerdem waren die letzten Alben bärenstark. Das weckt natürlich eine gewisse Erwartungshaltung. Ich erwarte nicht weniger als so etwas wie die musikalische Quadratur des Kreises. Folgerichtig bin ich gleich am Veröffentlichungstermin im Laden, schnappe mir die CD. Zahlen, und dann sofort nach Hause. Ich schließe die Türe ab und ziehe den Telefonstecker. Das WLAN schalte ich ab. Ganz frei nach Farin Urlaub: dieser Tonträger und ich sind ab sofort alleine zu Hause.
Knappe fünfzig Minuten später. Katerstimmung. Die anfängliche Euphorie hat recht schnell die Koffer gepackt. Dafür sind Frust und Langeweile eingezogen. Nur eine Mischung aus Hoffnung und Sturheit hat mich davon abgehalten, die CD in hohem Bogen aus der Anlage zu werfen. Das Album ist Mist. Aufgeblasen. Über produziert. Eine Riff Reste Rampe vergangener Alben. Früher waren die besser. Enttäuscht drehe ich die CD Hülle in meiner Hand. Naja, wenigstens ist das Cover hübsch. Ein großer Haufen Scheiße zwar, aber immerhin hat es ein goldenes Krönchen auf. Ich lege die CD zurück in die Hülle und sortiere sie in das Regal ein.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es langsam an der Zeit ist, los zu gehen. Denn Freitag bedeutet nicht nur, dass die Neuerscheinungen der Musikwelt in den Regalen stehen. Freitag heißt auch Heavy Metal Abend im Club um die Ecke. Also auf ins Bad kurz frisch machen, unterwegs Bier schnappen und los. Das schöne Spätsommer Wetter und die Vorfreude auf den Abend verbessern recht schnell meine Laune. Seltsam nur dass der Refrain des ersten Songs von meinem verhassten Neuerwerb in meinem Kopf vor sich hin düdelt. Und zwar immer und immer wieder.

Etwas später sitze ich auf meinem Stammplatz am Tresen. Von hier aus kann man den gesamten Barbereich und die Tanzfläche überblicken. Hier ist die Musik laut genug, um auch mal zu zuhören. Und leise genug um sich zu unterhalten zu können ohne dass man sich gegenseitig anschreien muss. Nach und nach trudeln die ganzen bekannten Gesichter ein. Man begrüßt sich, trinkt Bier, quatscht und hört Musik. Schließlich ist es soweit. Der DJ spielt die Single der CD, welche ich mir heute gekauft habe. Die Tanzfläche ist sofort gerammelt voll. Der Mob tobt, Abrissstimmung.
Ein Kumpel von mir sitzt neben mir. Auch er beobachtet die Meute eine Weile. Dann schnaubt er verächtlich und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas. Das Whisky Cola Gemisch fließt schnell in seine Kehle. „Kommerz Scheiße ist das. Früher waren die viel besser. Roher. Nicht so eine glatt gebügelte Hausfrauenkacke.“ Nickend stimme ich ihm zu. Mein Füße wippen unter dem Tresen verräterisch im Takt der Musik.

Am nächsten Morgen weckt mich die Mittagssonne. Ich stehe auf und schlurfe in die Küche. Erstmal einen Kaffee. Während ich die Kanne fülle und auf den Herd stelle, spielt die große Jukebox im Gehirn wieder den Refrain des ersten Songs. Und wieder. Und wieder. Ich warte bis die Kanne zufrieden vor sich hin gluckert, fülle meine Tasse mit dem frischen Kaffee und gehe in das Wohnzimmer. Vielleicht klappt es ja mit Katharsis, und der Ohrwurm verschwindet nach direkter Beschallung mit dem gleichen Lied. Ich lege die CD ein, mache es mir auf meinem Schaukelstuhl gemütlich und drücke play. Der erste Song schallt durch den Raum. Wuchtig, griffig, gut. Und erst der Refrain. Einfach schön. Das ist mir beim ersten hören gestern so nicht aufgefallen. Nun, dann kann ich dem Rest auch noch einmal eine Chance geben.
Etwas später. Ich greife nach meinem Kaffee. Er ist kalt. Und aus der Box verklingen gerade die letzten Töne des Schlusssongs. Tja, da habe ich mich etwas treiben lassen. Offensichtlich ist das Teil doch nicht annähernd so mies, wie ich nach dem ersten Hören dachte.
Zwei Wochen später. Die CD ist inzwischen Dauergast in meiner Anlage. Das Ding ist mit jedem Durchlauf einfach gewachsen. Die alten Stärken der Band sind immer mehr in den Vordergrund getreten, einige neue Ideen haben gezündet. Dadurch wirken die neuen Schwächen nicht mehr annähernd so schlimm. Und erst das Coverartwork. Und das liebevoll gestaltete Booklet. Passt beides herrlich zur Atmosphäre der Musik. Kurzum, die Scheibe ist ein gelungenes, rundes Gesamtkunstwerk. Früher waren die besser? Vielleicht. Aber so viel schlechter sind sie heute auch nicht. Und es kann ja nicht immer Liebe auf den ersten Blick sein. 


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